(650.) Das Schloß.

Ein riesiges Schloss stand auf der Anhöhe. Die Anfahrt wand sich durch Parkanlagen, immer wieder schwand es aus der Sicht, wenn die Bepflanzung dem Konzept eines englischen Gartens folgte, doch sah man es wieder über niedrige, zu Formen geschnittene Buchsbäume und Rosenrabatten, wenn die Abteilung nach französischem Muster gestaltet war.

Zu beiden Seiten erhob sich ein mächtiger, vielstöckiger Bau, doch der breite Hauptteil in der Mitte war niedriger, über eine halbrunde Freitreppe zu erreichen. Davor hielt man. Stieg aus. Das heißt, Madeleine und Jasper versuchten es, doch die Bediensteten waren schneller, öffneten die Türen des großen Automobils und baten, sich tief verneigend, die Herrschaften nun heraus.

„Dunnerlüttchen, das ist vielleicht ein gewaltiger Kasten! Und so eine Vornehmtuerei!“ Madeleine stieß ihren Halbbruder in die Seite: „Psst! Mach doch nicht so auf Prolet!“ „Ich bin, was ich bin!“ „Aber ich bin nicht Olivia, im ursprünglichen Original die Schwester des ungehobelten Glotzauges Popeye, versuch einfach, dich unauffällig zu benehmen!“ Jasper murmelte etwas davon, dass man bei ihr gewiss nur lang genug warten müsse, dann habe sie auch solche Wackelarme.

Inzwischen hatte die ältliche Tante zu ihnen aufgeschlossen. „Stellt euch nur vor, hier in dem Haus hat euer Großvater einst gewohnt!“

Auch, wenn er das schon einmal gehört hatte, jetzt vor dem ungeheuren Bauwerk stehend war selbst Jasper beeindruckt. Was hatte ein Schlossherr über ein derartiges Anwesen wohl zu sagen? Oder zumindest einst zu sagen gehabt? Herrscher ja nicht nur über Schloss und Gartenanlagen, das konnte nicht sein. Irgendwoher musste das Einkommen dafür gekommen sein. War er einer dieser kleinen Herrscher über ein völlig selbständiges kleines Reich gewesen?

Schnell fand sich Jasper in seiner neuen Rolle zurecht. Stolz und aufrecht stieg er, dabei der Tante den Arm reichend, die Treppen empor. Wandte sich dort um, ließ seinen Blick über die Ländereien der Familie schweifen.

Jetzt kicherte Madeleine: „Oh, Jasper der Erste, Souverän!“ Auch wenn sie auf ihren Schuhen einige Zentimeter größer als Jasper war, so ließ dieser doch einen vernichtenden Blick von oben auf sie herabstürzen. Anders als ihr Halbbruder hatte sich Madeleine für diesen Anlass hübsch herausgeputzt, hatte auch noch mal das Gehen auf diesen hochhackigen Dingern geübt. Jasper bestand auf seiner alten Jeans, auf einem bedruckten Hoodie, ja, er wollte zunächst gar nicht mit. Momentan aber fühlte er sich, als stünde er hier im maßgeschneiderten Anzug, in glänzend polierten Lederhalbschuhen bester Machart statt in Sneakers.

Anzug und Krawatte dazu nach Art seines Hauses, des elitären Internats, in dem er Jahrgangsbester war. Doch, er konnte sich das schon ganz gut vorstellen. War doch Madeleine auf ihrer freilich ganz gewöhnlichen Mittelschule sehr wohl Klassenbeste. Er, seinerseits, freilich nicht.

„Wie sprechen sie mit uns, Jasper dem Ersten? Spricht man so mit seinem Souverän,“ sagte er also streng, seiner augenblicklichen Rolle und Verfassung gemäß, zur Schwester. Die, auf das Spiel eingehend, einen Hofknicks versuchte.

In diesem Moment ging die mehrflügelige Türe auf. Ein vornehm gekleideter Herr erschien, begrüßte die Gäste und stellte sich als Majordomus vor. „Das ist aber ein komischer Name,“ flüsterte Jasper Madeleine zu, von der nur ein „Depp“ zurückkam.

Der selbsternannte Souverän ließ es sich nicht verdrießen, blieb in seiner Rolle und folgte dem Herrn Majordomus brav mit der Tante am Arm, die sich die Stütze gern gefallen ließ. Lang und breit erklärte ihr Führer durch die zugänglichen Räumlichkeiten, was sie sahen, dass sie sich zunächst in der Eingangshalle befänden, all die Bilder an den Wänden. Seltsam, der Großvater war nirgends gemalt, sein Name noch nicht erwähnt. Aber vielleicht waren das hier ja auch nur die Vorfahren aus längst vergangenen Zeiten, nicht umsonst waren hier sehr altertümliche Kleider zu sehen, die Männer trugen Schwerter oder Degen.

Schließlich, nachdem sie allerlei Prunkgemächer besichtigt hatten, auch die mächtigen Betten mit den Dachhimmeln, den Seidenvorhängen, aber auch allerlei Stuben für Bedienstete mit ihren Strohsackbestückten Ruhestätten, für die Pagen und Zofen und was so ein mächtiger Adelsstamm halt für alltägliche Verrichtungen an helfenden Händen braucht, stiegen sie in die Kellerräume.

„Hier im Souterrain walteten die Mägde und Knechte, die für die Feuerung sorgten, die Küche besorgten, kurz, all die schmutzigen und schweren Dienste leisteten, die man oben nicht sehen wollte,“ erläuterte der insofern recht aufgeschlossene Führer. Denn das war für die hiesigen Verhältnisse fast schon eine revolutionäre, despektierliche Anmerkung, die zudem noch der Wahrheit entsprach. Eine Reverenz an moderne Zeiten, an die gewonnene Macht der einfachen Leute, die diese ja gerne wieder und wieder einfach verspielen.

Die Tante fragte. Ob man hier noch den Karl Soundso, ihren Vetter, den Großvater der Kinder kenne. Der Majordomus dachte nach, nickte dann, lächelte: „Aber ja. Ich weiß noch von meinem Vorgänger. Der Karl, ja, den kannte damals wohl jeder, das war ein einfacher, ungelernter Helfer, aber der war wohl ein Tausendsassa, half hier und dort, kurierte ein Turnierpferd der Baronin, rettete dem Koch das eine oder andere Menü, das muss ein echtes Original gewesen sein!“ Strahlend wandte sich die Tante den Kindern zu: „Ja, das war euer Großvater!“

Keiner verstand, warum sich Madeleine vor Lachen den Bauch halten musste. Und mit dem Finger auf Jasper zeigte, der etwas bedröppelt dastand. Es fehlte nicht viel, und das Mädchen hätte sich vor Lachen auf dem Boden gewälzt: „Ha! Hahaha, vom Souverän in Souterrain!“

Noch als sie abfuhren lachte Madeleine, lachte und lachte.

Hätte sie weinen sollen?

Autor: gerlintpetrazamonesh

Ich schreibe Texte und veröffentliche sie. Selbstverständlich, bitte beachten, unter Copyright, also keine gewerbliche Verwendung ohne Einverständnis, private Verwendung gestattet, aber mit Nennung des Autors! Da bin ich stur, es mag ja sein, es ergibt sich noch die eine oder andere Möglichkeit, einen meiner Texte ( um nur die Naheliegenden zu erwähnen: Literaturnobelpreis, Hollywood...) weiter zu verwenden! Selbstverständlich, nicht wahr. So selbstverständlich wie der Autorenname, wie sich der eine oder andere gleich gedacht hat, wie man heute sagt Fake ist, so ein P-Name - ganz ehrlich, so heiß ich nicht, nicht richtig, nicht wirklich. In dieser Realität, z.B. in Ausweispapieren. Aber hier, für meine Geschichten, da nennt mich Petra. Nur der Vollständigkeit halber, die Person auf dem Bild, und hier muß ich mit der Änderung des Bildes schnell auch den Text ändern, das bin nicht ich, sondern mein selbstgewähltes Wappentier, nebenbei schon seit Kindertagen. (Vormals lautete der Text zum da noch passenden ersten Bild, na ja, halt auch so ein Vierbeiner, im Blog: die Dame vom See, das bin auch nicht ich und es ist nur ein Gerücht, dass sie mir einen Füllfederhalter namens Excalibur aus dem Gewässer apportierte. Aber das war ja auch ein Hund, ein richtiger Hund - auch mein Hund (hätte ich sie Morgana le Fay nennen sollen? Vielleicht den Nächsten) - an einem Alpensee, der, nein, die, die hätte das auch gekonnt, nämlich Excalibur apportieren, so ein toller Hund!) Bestimmt schreibe ich auch über sie mal was, aber: Dackel, um das klarzustellen, sind keine Hunde. Zumindest nicht im herkömmlichen, landläufigen Sinn. Dackel sind Wesen höherer Art, wobei boshafte Menschen oft auch einwenden: niedrigerer Art. Aber dazu in ungefähr, also keine Sorge, jedem 100. Textbeitrag mehr! Also gleich im ersten, ersteingestellten, der hier der automatischen Reihung nach der Allerletzte ist. Was jeder Dackel gleich versteht.

Ein Gedanke zu „(650.) Das Schloß.“

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