(1328.) Auf der Höhe der Zivilisation

Amelie sah nicht so aus. Aber sie war enorm sportlich und auch ehrgeizig. Allerdings waren ihre sportlichen Ziele etwas abseits, um nicht zu sagen, abwegig, weshalb die wenigsten erfuhren, was sie leistete.

So gehörte sie zu den wagemutigen Anwärterinnen, die sich die Seven Summits zum Ziel gesetzt hatten. Was heißt Anwärterinnen, sie hatte es eigentlich schon geschafft, ihr fehlte nur noch einer, freilich der Höchste, das absolute Topziel, der First auf dem Dach der Welt! Die höchste Erhebung von allen, der Gipfel, das, was aus der Welt, himmelwärts zeigend und strebend herausragt.

Sie scheute sich nicht vor diesem Ungeheuerlichen, das war es nicht. Es hatte sich einfach noch nicht ergeben. Sie hatte die höchsten und schwindelerregenden Spitzen der europäischen Gebirge erstiegen. Und auch die schwierigsten, darunter die berühmte Nordwand neben Mönch und Jungfrau. Auf deren hartes Gestein sie ebenfalls getreten war. Sie war auf allen Kontinenten gewesen

Manche dieser Touren hatte sie in geschulten Bergsteigergruppen unternommen. Manche aber auch allein, und nicht nur die, die als etwas harmloser und einfacher galten.

Ihr übriges Leben war geordnet und ohne größere Ausnahmen und Überraschungen verlaufen. Sie war alleinstehend, die eine oder andere Beziehung hatte ihr nichts gebracht. Was ihr etwas gab, das war das alleine an einem Seil in einer überhängenden Felswand zu hängen und dort ihr Nachtlager zu bauen. Das war ihr Leben.

Ansonsten war sie, wenn ich mich nicht ganz in meinen Erinnerungen täusche, Steuerfachgehilfin. Eine sehr ordentliche Person, die säuberlich alles, auch private Unterlagen, abheftete, die nichts Unerledigtes und die keinen Müll liegenließ, ja, seine Verursachung so gut es ging vermied, die Rechnungen pünktlich bezahlte, kurz, sie war so unauffällig, dass es manchen Nachbarn oder Kollegen schon wieder auffiel.

Von ihren Abenteuern in der Steilwand erzählte sie ungern. Von sich aus nichts, nur die wenigen Menschen, die von ihrem geheimen Dasein verborgen dort oben, von unten, wenn überhaupt nur noch mit dem Fernglas zu sehen, wussten, die fragten manchmal nach. „Amelie, du bist zurück? Wie war es? Wo warst du noch gleich, in den Südalpen?“ So oder ähnlich hieß es dann. Und sie antwortete leise: „Südalpen? Ja, aber nicht die drei Zinnen in den Dolomiten, in den europäischen Südalpen, da war ich letztes Jahr. Ich war diesmal in den Tiritiri – o – te – moana.“ „Was? Was ist das denn? Liegt das in Bayern?“ „Südalpen. Neuseeland. So heißen die bei den Einheimischen.“ „Und da drunten gibt’s Berge? Ich dachte, das ist alles eine große Schafweide!“ „Oh nein, ganz im Süden hat es richtige Berge! Und Vulkane sogar überall verteilt. Ich war unter anderem auf dem Mount Cook, dem Aoraki.“ „Donnerwetter! Ja, du kommst ganz schön rum. Raki? Das kenn ich doch, aus meinem Strandurlaub, da bei Antalya. Mann, haben wir uns da besoffen! Ist das da in der Nähe? Da ist es doch dann richtig heiß, oder?“

So erzählte sie auch lieber nichts von ihren Vorbereitungen. Sie nahm wie gewohnt Urlaub und flog los, diesmal eben nach Nepal. Endlich war es so weit. Vor ihr er, Sagarmatha in der Sprache jener Gegend von der aus sie aufzubrechen gedachte, der größte, der höchste aller Berge.

Natürlich hatte Amelie auch noch vorgehabt, sich an den anderen Achttausendern zu versuchen. Später einmal. Aber der Mount Everest ist ja inzwischen ein gängiges Touristenziel, ein Spaziergang für ältere Damen, die freilich noch einigermaßen rüstig sein sollten, sie wollte hier anfangen und damit ihre sehr vollständige Sammlung der Höchsten aller Kontinente vollenden. Oh ja, ihre Sammlung war sehr gründlich und üppig, sie hatte sowohl den Elbrus als auch den Mont Blanc, hatte auch in der Australregion gleich mehrere in Frage kommende Gipfel erstiegen.

Jetzt aber ging sie begleitet von einem Sherpa los. Es war natürlich nicht mehr Tenzing Norgay und für eine Erstbesteigung des Bergriesen war es ja auch schon etliche Jahrzehnte zu spät.

Die beiden kamen auf dem ersten Streckenabschnitt gut voran. Aber dann wurde Amelie langsamer. Der Sherpa ermahnte sie, dass sie ihre Tagesetappen nicht schaffen würden. Doch das schien Amelie nicht anzutreiben. Immer noch langsamer wurde sie. Und statt ihr Gepäck zu erleichtern lud sie sich immer mehr auf.

Es war ihr nicht möglich, anders zu handeln. Sie war eine Bergsteigerin aus Leidenschaft und sie war deshalb auch eine Freundin dieser Berge, eine Naturliebhaberin. Sie verzweifelte auf diesem Weg. Schließlich brach sie nicht wegen der Schneemassen, nicht wegen der dünnen Luft, sondern wegen ihrer Lasten zusammen. Nicht eine Steinlawine, nicht Schneebruch oder Eisplatten begruben sie, drückten sie nieder.

Sie hatte all den Müll, der den Wegrand säumt und weithin das Land verwüstet, nicht liegen lassen können. Nun gehört sie zu jenen, die dort oben im ewigen, aber mal sehen, wohin die Klimaerwärmung noch führt, Eis und Firn unter einer anschaulichen Halde aus Dosen und Tüten und anderen Mitbringseln ruhen. Es gibt schließlich schon Gründe, warum all die Bergtouristen dort ihren Müll verteilen. Einmal sieht es so viel heimeliger aus, schließlich macht man das nicht einmal zu Hause und also erst recht im Urlaub nicht anders. Und dann wäre das Herumschleppen auch viel zu anstrengend, man sieht hier ja, wohin das führt!

Und so wäre Amelie fast zu einem Mahnmal für die Unvernunft, die derart verbohrte Leute, Müllsammler und Naturschützer, die es ja immer wieder gibt, geworden. Hätte das nur jemand außer ihrem Sherpa mitbekommen.

Und dem Yeti, versteht sich. Aber der hat das nur einem Mann aus den Südalpen, den Dolomiten, weitergesagt, sonst niemandem.

Autor: gerlintpetrazamonesh

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