(1325.) Karriereplanung und Hindernisse. Oder: die geheimnisvolle Flaschenpost

Dass es eine Flasche war, die eigentlich Whiskey enthalten sollte, tat erst mal nichts zur Sache. Die Kinder hatten das Gefäß am Strand gefunden und hatten das mit Tang bedeckte, glitschige Ding mitgebracht. Es war bereits zum Altglas sortiert und die Kinder ermahnt worden, nicht jeden ekligen Gegenstand einfach anzufassen, als Eines aus der kleinen Sammlergruppe bemerkte: „Aber da ist doch etwas drin!“ „Du meinst, eine Flaschenpost? Der Brief eines lang verschollenen Schiffbrüchigen?“ Schließlich kennt man seine Pappenheimer so gut, wie seinerzeit Wallenstein. Weshalb das aufgeweckte Kind auch heftig seinen Kopf schüttelte: „Unsinn! Kein Brief, etwas Größeres. Festes. Also, wir glauben, so etwas wie ein Tier.“ Jetzt war die Neugierde geweckt und die Flasche sogleich aus dem Müll gefischt. Sie wurde gereinigt und nach erheblicher Zeit des Schrubbens und Einweichens wurde das Glas klarer und durchsichtiger. Da es eine farbige Flasche war konnte man immer noch nicht deutlich erkennen, was sich darin befand. Es hatte die Gestalt eines sehr kleinen Menschen, und da es diese außerhalb eines mütterlichen Leibes nicht zu geben pflegt wurde rasch entschieden: „Na, so was wie eine Puppe! Interessant, da hat jemand statt einem Buddelschiff eine Puppe in eine Flasche platziert, wie er auch immer das angestellt hat.“

Das war der Moment, in dem sich die Figur in der Flasche bewegte. Sich bückte, ihren hinabgefallenen Hut aufhob und auf den Kopf setzte und, uns erblickend, Grimassen schnitt. „Offensichtlich eine mechanische Puppe. Oder so was,“ versuchten die Erwachsenen die Kinder zu beruhigen. Denn alle hatten zu kreischen begonnen, die Kinder aber schienen gar nicht mehr aufhören zu wollen.

Als sie aber aufhörten und vor allem die Annahme der Erwachsenen als kindisch und dumm abtaten, war es noch schlimmer. Denn die Kinder erklärten überzeugt, dass dieses kleinen Wesen da drin lebe. Und herauswolle! Heraus müsse!

Während die Diskussion noch erregt weiterging fiel das Männchen in sich zusammen und war augenscheinlich wieder ohne Regung, vermutlich tot. Wieder tot? Was war da los? „Wir müssen die Flasche öffnen! Er braucht Luft!“ Das war die Meinung der Kinder. Aber dem wurde entgegengehalten, dass man hier professionelle Meinung und Unterstützung brauche.

Es gab in der Stadt ein Forschungslabor, das man nun aufsuchte. Die Wissenschaftler folgten den Ausführungen der Hilfesuchenden interessiert, während sie sich auf ihren Papieren, die sie in Klemmbrettern hielten, angeregt Notizen machten.

„Heute Abend bei mir,“ stand auf einem. „Schauen wir Fußball? Ich bringt Bier mit,“ auf einem anderen. Der dritte Zettel trug von weiblicher Hand die Frage: „Wirklich? Fußball?“ „Nein, heut ist Spielfilmabend,“ lautete die beruhigende Antwort und auf Zettel zwei stand nun: „Ach, Frauen kommen auch? Also auch Wein?“

Inzwischen hatte bereits ein Laborassistent die Flasche an sich genommen. Sie würde im Altglas entsorgt werden müssen. Sie war ja immer noch schmutzig!

In dem Moment regte sich das Männchen wieder. Setzte sich wieder einmal seinen herabgefallenen Hut auf und klopfte an die Glaswand. Was es rief, denn es öffnete und schloss den Mund, hörte man nicht.

Nun nahm die Frau aus dem Wissenschaftlerteam, eine Doktor Annegret Gricht – Hanfschnur, den Gegenstand ihrem Helfer vorsichtig aus der Hand und sagte: „Das müssen wir näher untersuchen.“

Professor Doktor Winkelhocker widersprach, doch Annegret rief: „Geben sie den Weg frei! Freiheit für die Wissenschaft!“ Und schritt voran. Neugierig folgte die gesamte Corona. Also nicht der Virus, hoffen wir, sondern eben diese Neugierigenwolke, die sich bei Ereignissen aller Art bildet.

Hinter Annegret hereilende Weißkittel schrieben noch im Gehen ihre Notizen weiter. „Ich hab noch n Sixpack Corona – Bier,“ merkte der eine an, was aber kaum beachtet wurde, nur einer fragte: „Kein Tsingtao oder so? Aus China?“

Die Trägerin der Fackel der Erkenntnissuche und der Flasche erreichte einen Raum, in dem ein großer Glasbehälter stand. In diesen führten zwei Schläuche, Ärmel, die in Handschuhen endeten. Mittels derer man in dem Behälter mit etwas Hineingegebenem hantieren konnte. Annegret öffnete den Behälter, stellte die Flasche hinein und schloss das große Gefäß. Zuvor legte noch der aufmerksame Assistent einen Flaschenöffner, einen Korkenzieher hinein. Denn er hatte bemerkt, dass die alte Flasche mit einem Korken verschlossen war. Annegret nickte ihm zu. Schlüpfte in die offenen Arme und begann, mit dem Korkenzieher den Kork aus der Flasche zu lösen. Sie arbeitete konzentriert, denn das war gar nicht so einfach. Wer es nicht glaubt, kann ja mal versuchen, in einen Winterpullover und Handschuhe zu schlüpfen und dann sich an diese Art Arbeit zu machen. Idealerweise ist der Pullover mit den Handschuhen fest verbunden, zusammengenäht oder gleich am Stück gestrickt worden.

Das Männchen war unterdessen wieder in sich zusammengefallen. Nun aber kam der Kork heraus! Das Männchen schoss heraus wie der Sekt aus der unvorsichtig geöffneten Flasche, es war quicklebendig! Es sah sich um, sah Annegret mit ihren seltsam unförmigen Armen und verneigte sich in ihre Richtung, bemerkte die Glaswände, die nun eben etwas weiter weg waren, als zuvor die Flaschenwände und begann zu toben und zu schimpfen.

„Das ist keine menschliche Sprache,“ merkte der Professor, der inzwischen auch herangekommen war, an. Die Anwesenden waren ratlos. Einer faselte von Außerirdischen, ein anderer von einem kleinen Roboter mit Fehlfunktionen.

Annegret schüttelte den Kopf: „Ich versteh kein Wort. Aber dass es Beschimpfungen sind, das schon!“ Doktor Wohlleben, der angeboten hatte, Bier und Wein mitzubringen, trat vor. Er lauschte bemüht und sprach dann in die schmale Öffnung, die geblieben war, um noch kleine Gegenstände durch diesen Schlitz in das abgeschlossene Großgefäß geben zu können: „Ní thuigim.“

Das Männchen verharrte, verstummte auch für einen Moment. Dann sprach es langsam, aber für die meisten Anwesenden weiterhin unverständlich, weiter. Wohlleben antwortete.

„Was… was redet ihr da,“ fragte Annegret flüsternd. Wohlleben winkte ab, „muss mich konzentrieren. Der spricht ganz altes Gälisch,“ merkte er nur an.

Schließlich lächelte Wohlleben, verbeugte sich vor dem Männchen und öffnete das große Glasgefäß. Das Männchen sprang heraus, verbeugte sich nochmals vor Annegret, sprang Wohlleben auf die Schulter und streckte den übrigen Anwesenden die Zunge heraus. Doktor Wohlleben setzte zu einer Erklärung an: „Wie meine Kollegen wissen, bin ich auf der Welt schon einigermaßen herumgekommen. Und war auch einige Zeit auf der grünen Insel, in Irland.“ „Und hast dort dem Whisky tapfer zugesprochen,“ rief der Doktorand Sentenzenbrocker, der für seine oft zutreffenden spitzen Bemerkungen bekannt war. Wohlleben winkte ab, fuhr fort: „Und vermutlich hättest du Whiskey wieder falsch geschrieben. Es ist ratsam, nicht all zu viel über Sachen zu reden, von denen man keine Ahnung hat! – Jedenfalls ist es ganz einfach. Dieser Herr hier, derzeit auf meiner Schulter, wurde vor undenklich langer Zeit, womöglich zur Zeit der Prohibition in den USA, von einem bösen Zauberer in diese Flasche verbannt. – Ja, ist mir klar. Ihr wollte wissen, ob es Zauberer gibt und wie so was funktioniert. Das ist ganz einfach. Der Zauberer zwang ihn, die ganze Flasche leerzutrinken und ihr seht ja die Größenverhältnisse! Die Wirkung dieser alkoholischen Überkompensation war derart, dass die ihres wesentlichen Inhalts beraubte Flasche, das Vakuum fürchtend, das Männchen in sich hineinzog. Und da saß es dann fest! Korken drauf und fertig. Und die Flasche auch noch ins Meer geschmissen! Jetzt war in der Flasche natürlich schon auch Luft, aber halt nicht genug. Der Sauerstoff wurde verbraucht, der Insasse fiel in Ohnmacht, durch den Kork kamen aber immer wieder einzelne Luftmoleküle durch und wenn sich wieder eine geringe Sauerstoffmenge angesammelt hatte, erwachte er wieder. Nur um kurz darauf, nach Verbrauch dieses Vorrats, in neue Bewusstlosigkeit zu sinken.“ „Wieso ist er nicht gestorben,“ fragte eines der Kinder etwa gleichzeitig mit mehreren Stimmen, die verlangten, zu erfahren, wer der kleine Kerl eigentlich sei.

„Nun, es handelt sich um einen Vertreter der kleinen Leute. Jener Wesen, die wir – mit Verlaub! – als Kobolde beschreiben. Weshalb er auch nicht starb, weder an einer ganzen Flasche Whiskey noch an dem Sauerstoffentzug. Schließlich sind diese Burschen so gut wie unsterblich.“ „Und nun muss das Versuchsobjekt umgehend wieder in sein Behältnis rückgeführt werden,“ rief nun gewichtig der Professor. Alle erschraken. Doch Wohlleben hatte den Satz schon übersetzt, das Männchen sprang von seiner Schulter, packte den Professor und schleuderte ihn in den Glasbehälter, verschloss auch sogleich die Öffnung und begann zu tanzen. Wütend trommelte der Professor von innen gegen die transparenten Wände seines Gefängnisses.

„Aber- wir werden Professor Winkelhocker wieder freilassen müssen!“ Das rief nicht nur Annegret, doch das Männchen verschränkte die Arme und schüttelte den Kopf. Seinen beim Sprung verlorenen Hut schien es vergessen zu haben, so dass die borstigen, langen roten Haare nur so von einer Seite zur anderen flogen. „Was denn sonst,“ rief Annegret aufgeregt, doch Wohlleben erklärte: „Dieser Winkelhocker, den wir kennen, ist niemand anderer als der böse Zauberer, der das dem Herrn aus dem Volk der kleinen Leute antat.“ „Was sollen wir denn machen, sollen wir ihn etwa auch ins Meer schmeißen,“ fragte Annegret, da packte das Männchen den riesigen Glastank, schleppte ihn hinaus zum Fluss und warf ihn hinein. Langsam trieb das ungewöhnliche Glasbodenboot meerwärts.

Und am Abend saßen sie alle in einem Irish Pub und es ging recht fröhlich zu, feuchtfröhlich, wie man so sagt. Man sang alte oder neuere irische Lieder, den einen oder anderen Refrain kannten fast alle, und schließlich taumelten alle heimwärts. Annegret ging nicht mehr ganz sicher, aber sie hielt sich an der Hand ihres Begleiters fest. War das Doktor Wohlleben? Aber wer hielt dann ihre andere Hand, der nach wie vor geheimnisvolle kleine Mann? „Egal,“ sagte sie laut, „wir sind da. Ich geh jetzt – hicks – da rein und koch Kaffee. Auf meiner Kaffeemaschine. Hab ich nämlich. Denn die Frage, die zu stellen ist, die da ist, ja, die ist da. Da, die Frage: Kommt noch wer mit hoch, aufn Kaffee, wie man so sagt?“ Eigentlich war es keine Frage, sondern eine Aufforderung. Der man gerne nachkam. Auch Sentenzenbrocker war dabei und er erzählte mir das alles, neulich in der Kneipe. „Genauso ist’s gewesen,“ beteuerte er.

„Ihren Doktor haben sie dort dann aber nicht mehr gemacht,“ fragte ich nach und er schüttelte lachend den Kopf. Sagte: „Nein, weißt doch, ich bin jetzt der Wirt hier. Wohllebens Lebenserfahrung hat mir die Augen geöffnet! Wissenschaft, pah! Alles halbgare Geschichten, lose zusammengereimt. Nein, das ist das wahre Leben! Und grün des Lebens holder Baum, sagt Goethe.“ „Sagt Mephistopheles. Bei Goethe.“ „Ach, du bist auch so pfennigfuchsig.“ „Fuchsig?“ „Na, weißt schon.“ „Ich glaube, auf die Bemerkung spendierst du mir noch ein Glas. Aufs Haus!“

Autor: gerlintpetrazamonesh

Ich schreibe Texte und veröffentliche sie. Selbstverständlich, bitte beachten, unter Copyright, also keine gewerbliche Verwendung ohne Einverständnis, private Verwendung gestattet, aber mit Nennung des Autors! Da bin ich stur, es mag ja sein, es ergibt sich noch die eine oder andere Möglichkeit, einen meiner Texte ( um nur die Naheliegenden zu erwähnen: Literaturnobelpreis, Hollywood...) weiter zu verwenden! Selbstverständlich, nicht wahr. So selbstverständlich wie der Autorenname, wie sich der eine oder andere gleich gedacht hat, wie man heute sagt Fake ist, so ein P-Name - ganz ehrlich, so heiß ich nicht, nicht richtig, nicht wirklich. In dieser Realität, z.B. in Ausweispapieren. Aber hier, für meine Geschichten, da nennt mich Petra. Nur der Vollständigkeit halber, die Person auf dem Bild, und hier muß ich mit der Änderung des Bildes schnell auch den Text ändern, das bin nicht ich, sondern mein selbstgewähltes Wappentier, nebenbei schon seit Kindertagen. (Vormals lautete der Text zum da noch passenden ersten Bild, na ja, halt auch so ein Vierbeiner, im Blog: die Dame vom See, das bin auch nicht ich und es ist nur ein Gerücht, dass sie mir einen Füllfederhalter namens Excalibur aus dem Gewässer apportierte. Aber das war ja auch ein Hund, ein richtiger Hund - auch mein Hund (hätte ich sie Morgana le Fay nennen sollen? Vielleicht den Nächsten) - an einem Alpensee, der, nein, die, die hätte das auch gekonnt, nämlich Excalibur apportieren, so ein toller Hund!) Bestimmt schreibe ich auch über sie mal was, aber: Dackel, um das klarzustellen, sind keine Hunde. Zumindest nicht im herkömmlichen, landläufigen Sinn. Dackel sind Wesen höherer Art, wobei boshafte Menschen oft auch einwenden: niedrigerer Art. Aber dazu in ungefähr, also keine Sorge, jedem 100. Textbeitrag mehr! Also gleich im ersten, ersteingestellten, der hier der automatischen Reihung nach der Allerletzte ist. Was jeder Dackel gleich versteht.

6 Kommentare zu „(1325.) Karriereplanung und Hindernisse. Oder: die geheimnisvolle Flaschenpost“

    1. Das hoff ich doch. Spannend und unterhaltsam. Und das gar nicht halbgar nehme ich (Deinerseits) als rechtes Lob, frage aber doch nach, was genau damit gemeint war (oder erwartet wurde).
      Eben wurde mir gesagt, das (und auch das von gestern) sei mal wieder unrealistisch, wenn auch eben das, unterhaltsam. Wo leben denn diese Leute, die nicht hinter die erlaubte Realität sehen oder allenfalls an Samhain?

      Like

      1. halbgar ist für mich: wenig durchdacht!

        erlaubte Realität hat nix mit unserer Fabulierlust zu tun, je ungeheuerlicher und fantastischer umso wertgeschätzter …

        Like

      2. Halbgar ist halbroh. Tötet die Keime nicht ab, aber läßt auch die Vitamine ganz… Nun, ich schätze (manche) unverarbeiteten Lebensmittel und Kunst in ihren ursprünglichsten Fassungen, beginnend bei der ungelenken Kinderzeichnung, gefällt mir auch. Manchmal besser wie ausgefeilter Kitsch.
        Unsere Phantasie wollen wir belassen, uns nicht nehmen lassen, die Gedanken sind frei. Und dass die Realität Schichten besitzt, aus verschiedenen Blickwinkeln andere Facetten offenbart, gehört dazu – man muß dann nur kurz über sie springen, die Mauer ist nicht all zu hoch, und die Sache aus der anderen Richtung betrachten!

        Like

  1. Kleine Leute saufen, sprechen komische Sprachen, die mit steigendem Bildungsgrad nicht mehr erfasst werden können und lassen sich nicht gerne einsperren – so ist das. Hast Du schon mal dran gedacht, in die Politik zu gehen?

    Fein geschrieben!

    Like

Hinterlasse einen Kommentar